Atemlos – SonntagsZeitung

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Martina Frei

Dieser Artikel beginnt mit einem Selbstversuch: Halten Sie sich bitte beim Lesen die Nase zu, sodass Ihre Atmung etwas behindert wird. Nach ein paar Zeilen wird das unangenehm. Bald
werden Sie Mühe bekommen, sich zu konzentrieren. Sie werden den Drang verspüren, tief Luft zu holen, bevor Sie den Versuch abbrechen und wieder normal atmen – was Möpsen und anderen Rassehunden mit extrem kurzem Kopf verwehrt ist.Und damit wären wir beim Thema.
«Unser Mops Julius hatte panische Angst zu ersticken. Er war todmüde, aber er konnte nicht mehr schlafen aus Atemnot», sagt Marion Hofer. Ihr Rassehund starb im Februar 2017 im  Alter von sieben Jahren. Eigentlich können Möpse 12 bis 15 Jahre alt werden. «Ich hatte schon viele Hunde, aber etwas so Dramatisches habe ich nie erlebt.» Sie weilte mit ihrem Mops
in Berlin, als sich sein Zustand rapide verschlechterte. «Er konnte sich nicht mehr hinlegen, weil er sonst keine Luft bekommen hätte. Man hat ihm angesehen, wie verzweifelt er war.»

Sie verschlucken sich und müssen erbrechen
Im Bestreben, die Rasse möglichst kindlich aussehen zu lassen, wurde den Möpsen die Nase fast weggezüchtet. Mit dem Ergebnis, dass es im Innern der Nase aussieht, als wäre jemand mit dem Mobiliar einer 100-Quadratmeter-Wohnung in ein 30 Quadratmeter kleines Appartement gezügelt. So beschreibt es ein Tierarzt auf seiner Website.

Etliche Hunde bekommen deshalb Erstickungsanfälle bis zur Bewusstlosigkeit. Sie können nur mit erhöht abgelegtem Kinn schlafen oder versuchen es sitzend in ihrer Not. Vorlauter Atemnot haben sie Probleme beim Fressen, sie müssen erbrechen, verschlucken sich oder würgen Futter wieder hoch. Computertomografische Aufnahmen offenbaren das Elend in der Mopsnase: Wo eigentlich die Luft durchströmen sollte, sind im Verhältnis zur Körpergrösse viel zu grosse Nasenmuscheln im Weg.

Marion Hofer raste mit ihrem schwer kranken Hund im Auto zur Kleintierklinik der Universität Leipzig. «Die Operationstechnik, die wir bis vor etwa 15 Jahren anwendeten, genügt inzwischen nicht mehr, weil die Missbildungen bei vielen Hunden schwerer geworden sind», sagt der Klinikdirektor Gerhard Oechtering, der seit über 30 Jahren kurzköpfige Hunde behandelt. Mittlerweile seien meist zwei bis drei Operationen nötig, damit die Tiere ohne Atemnot gehen, fressen und schlafen können.

Nicht nur Möpse sind betroffen, auch viele Französische  Bulldoggen. Beide Rassen sind in der Schweiz enorm populär: Vor zehn Jahren gab es hierzulande 1900 Möpse und 1525 Französische Bulldoggen, heute sind es fast 6000 beziehungsweise 10 500. Hinzu kommen kurznasige Pekinesen, Boxer, Boston Terrier und Shih Tzu. «Den meisten Hundehaltern ist nicht bewusst, wie schlimm das für den Hund ist», sagt Oechtering und listet die Fehlbildungen bei extrem kurzköpfigen Rassen auf: Deformationen an den oberen Atemwegen, den Augen, am Gebiss, Mittelohr und Gehirn. Zu grosse Zunge, Zahnprobleme, zu weiche Knorpel in Luftröhre und Kehlkopf, deformierte Hüftgelenke, Veränderungen an der Wirbelsäule.

Behandlungskosten im Wert eines Mittelklassewagens
Mops Julius wurde im Alter von drei Jahren erstmals operiert, wegen des zu langen Gaumensegels. Hinzu kamen eine Kniescheibenluxation, Hüftgelenksprobleme, Hauttumoren. «Für die Untersuchungen und Therapien habe ich so viel ausgegeben, das hätte für einen Mittelklassewagen gereicht. Wir waren immer in Behandlung», sagt Marion Hofer.

Das Wort «Mops» leitet sich vom niederländischen «mopperen» ab für brummende, murrende Geräusche. Die schnarchenden Laute kurzköpfiger Hunde halten Laien oft für normal. «Manche Tierhalter empfinden diese Geräusche offenbar als beruhigend», sagt Oechtering. «In Wahrheit sind sie Ausdruck  nackter Atemnot. Und das empfinden auch Tiere als lebensbedrohlich.»

Julius Luftröhre hielt dem ständigen Unterdruck beim Luft einsaugen irgendwann nicht mehr stand. Hofer macht sich Vorwürfe: «Wir haben nicht gemerkt, dass Julius neben uns fast erstickt ist.» Ihr Hund wurde in Leipzig notfallmässig operiert, verstarb aber drei Tage später an Lungenversagen und Blutvergiftung. Etwa 300 nach Luft ringende Hunde operiert Oechterings Team pro Jahr, die Nachfrage sei gross, die Termine seien jetzt schon bis zum Herbst vergeben. Beim Eingriff verkürzt er das Gaumensegel, erweitert zu enge Nasenlöcher und schneidet mit einem Laser verstopfte Nasenmuscheln heraus.

«Auch mit einer Operation machen wir aus diesen Tieren keine normalen Hunde. Sie bleiben gequält», gibt Ulrich Rytz von der Abteilung für Chirurgie an der Kleintierklinik Bern zu bedenken. «Der Hund ist primär ein Nasentier. Ihm die Nase wegzuzüchten, ist pervers. Man sollte das Kind beim Namen nennen: Qualzucht.»

Hunde von Rassezüchtern sind genauso betroffen
Hundezüchter orten das Problem nicht bei sich, sondern bei den importierten Hunden aus schlechten Zuchtstätten. Rytz widerspricht: «Es ist beileibe nicht so, dass wir nur ausländische Hunde wegen Atemnot operieren.» Ausserdem verweisen Züchter gerne auf den Belastungstest, den etwa Möpse vor der Zuchtzulassung absolvieren: einen Kilometer in maximal elf Minuten laufen. Das soll garantieren, dass nur Tiere ohne Atemprobleme ihre Gene vererben.

«Der Test ist ein Witz», findet Julika Fitzi, Tierärztin beim Schweizer Tierschutz (STS) und selber Halterin einer Französischen Bulldogge. «Bei 10 Grad schafft der Hund das locker. Aber bei 18 Grad und darüber macht er schlapp, röchelt, würgt und muss sich häufig sogar übergeben.» Im Sommer leiden stark kurznasige Hunde besonders. Mangels Schweissdrüsen brauchten sie ihre Nase zum Kühlen, die diese Funktion aber nicht mehr erfüllen kann, wodurch die Tiere überhitzen. Auch jeder banale Schnupfen, jede Allergie wirkt sich stärker aus.

Tierarzt Oechtering geht mit den Züchtern hart ins Gericht. Sie hätten es «auf geradezu ignorante Weise» in Kauf genommen, dass ihre Tiere immer schwerere Atemstörungen bekämen. Das Argument, professionelle, seriöse Züchter würden keine solchen Hunde hervorbringen, wischt er vom Tisch. «Bei den von uns behandelten Tieren sehen wir, dass die vereinsmässig organisierte Zucht nicht besser ist als die Hobbyzucht.»

Marion Hofer kennt vieles aus eigener Erfahrung. «Wir haben Julius von einer Züchterin gekauft, die im Verein engagiert war. Deshalb dachten wir, das bürge für Seriosität.» Ausserdem habe die Züchterin versichert, dass ihre Hunde gut atmen könnten. Dass sie weiterhin Möpse züchtet, findet Hofer stossend. Sie würde «nie mehr» einen kaufen. «Das könnte ich nicht noch mal mit ansehen.»

Oechtering ist nach über 30-jähriger Erfahrung überzeugt, dass vonseiten der Rassezüchter keine Hilfe zu erwarten sei für die geplagten Tiere. «Ein Mops mit einer Nase muss gar nicht erst an einer Hundeausstellung antreten. Er kann sowieso nicht gewinnen», kritisiert er die Zuchtvorgaben und rät: «Solche Hunde sollte man nicht mehr kaufen.» Auch die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin will nun in einer Kampagne für die Atemnot der Hunde sensibilisieren.

Retromöpse wären gesünder, werden aber nicht akzeptiert

Für Gerhard Oechtering hören die Probleme aber nicht bei den extrem kurzköpfigen Hunden auf: «Von den Zuchtvorgaben bei Rassehunden führen über 80 zu Gesundheitsproblemen.» Seit Hunde nicht mehr wie früher auf bestimmte Leistungen hin gezüchtet würden, sondern auf «Schönheit», züchte der Mensch seinen ältesten Weggefährten zum Krüppel.

Einen Ausweg suchen zum Beispiel «Retromops-Züchter» und Züchter der Rassmos. Sie kreuzen langnasige Parson Russell Terrier ein, um dem Mops wieder das freie Atmen zu ermöglichen. Im «Mops-Belastungstest» schnitten die Retromöpse besser ab. In den Augen der reinen Mopszüchter handelt es sich bei den Nachkommen aber nicht um Rassemöpse. Weder die Retromöpse noch die Rassmos  sind von der Internationalen Kynologischen Vereinigung (FCI) anerkannt.

«Viele Hundehalter stehen den Retromöpsen skeptisch gegenüber. Wenn man Russell Terrier einkreuzt, verändert man das Wesen des Mopses», gibt Marion Hofer zu bedenken. Und dieses Wesen sei überaus liebenswürdig. Auch Oechtering lobt die kompakten Vierbeiner wie Möpse und Französische Bulldoggen. Sie gelten als heiter, ausgesprochen freundlich, gemütlich und sind gut in einer Stadtwohnung zu halten. Wäre da nur nicht diese schwere, menschengemachte Erbkrankheit.
Foto: Getty Images

Kommentar
Die Veterinärämter müssen eingreifen.  PDF hier

Martina Frei fordert eine stärkere Kontrolle der Züchtung von Möpsen und französischen Bulldoggen, welche die Hunde zu leidenden Tieren gemacht hat.

Endlich haben auch die Tierärzte die Nase voll. Die kurzköpfigen Hunde haben das nämlich schon lange, im wahrsten Sinn. Ihre Nasen sind innen so zugestopft, dass sie zu wenig Luft bekommen. Dass es so lange gedauert hat, bis die Veterinäre Alarm geschlagen haben, ist beschämend. Sie hätten das Elend dieser Hunde viel früher und heftiger anprangern sollen.
Das wohl Beschämendste aber ist, dass viele Züchter, die Rasseclubs und die kynologischen Gesellschaften weltweit diesem abartigen Züchten nicht schon längst Einhalt geboten haben, sondern an Rassestandards festhalten, die Hunde krank machen.
Die Veterinärämter müssen eingreifen Martina Frei fordert eine stärkere Kontrolle der Züchtung von Möpsen und französischen Bulldoggen, welche die Hunde zu leidenden Tieren gemacht hat.
Ebenso unverständlich ist, wie Hundeliebhaber sich wissentlich einen dieser röchelnden Vierbeiner kaufen und sich daran erfreuen können. Wer jemals an Atem- not gelitten hat, weiss, wie furcht- bar das ist.
Im Bestreben, die Rasse möglichst kindlich aussehen zu lassen, wurde etwa den Möpsen die Nase fast weggezüchtet. Viele dieser Hunde haben Mühe, ein Spielzeug mit dem Maul aufzunehmen. Sie sehen nicht richtig. Sie können nicht richtig fressen. Sie sind bei Wärme nicht belastbar. Sie können sich hinten am Körper nicht mehr selbst putzen. Sie können kaum noch natürlich werfen, sondern ihre Welpen nur dank Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.
Schweizer Züchter wenden ein, dass diese Probleme importiert seien. Tatsächlich stammen beispielsweise etwa 70 Prozent der französischen Bulldoggen und 90 Prozent der Möpse aus dem Ausland. Doch Tierärzte versichern, dass auch die hier gezogenen Tiere Probleme mit dem Schnaufen haben.
Das Schweizer Gesetz verbietet viele dieser Auswüchse, aber es hapert an der Umsetzung. Es ist höchste Zeit, die kantonalen Veterinärämter so zu dotieren, dass sie diese Aufgabe auch erfüllen können.

Artikel von Martina Frei, Redaktorin Wissen